Klaas Posselt und Dirk Frölich können Gedanken lesen: Schon auf dem Klappentext schreiben sie, was wohl viele angesichts der über 600 (!) Seiten ihres Buchs zum Thema »Barrierefreie PDF-Dokumente erstellen« denken:
Warum ist das Buch denn so dick? Ich will doch nur schnell etwas barrierefrei machen.
Die Frage wird natürlich beantwortet; wie alle anderen auch, die man zu dem Thema haben könnte. Und darum ist das Buch (zu dem es auch eine eigene Website gibt) auch so dick geworden (und hat sich der Erscheinungstermin auch etwas verspätet). Die beiden Autoren beschreiben bis ins kleinste Detail, wie man mit Adobe InDesign, Microsoft Office und Libre Office barrierefreie PDFs erstellen kann. Ein wichtiges Thema insbesondere für staatliche Institutionen und öffentliche Einrichtungen, für die eine Reihe von Gesetzen, Richtlinien und Verordnungen vorschreiben, dass deren Dokumente „barrierefrei“ sein müssen.
Teil A befasst sich mit den „theoretischen Grundlagen“ und füllt fast die Hälfte des gesamten Buches. Wenn man es liest, weiß man auch, warum: Die Sache ist nicht ganz einfach. Von den UN (Behindertenrechtskonvention), der EU (Richtlinie 2016/2102) über den Bund (Behindertengleichstellungsgesetz, Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung) bis hin zu einzelnen Bundesländern gibt es eine Reihe von Anforderungen, die an digitale Dokumente gestellt werden. Und dann sind da noch die technischen Regelwerke BITV und WCAG. Klaas Posselt, der diesen ersten Teil des Buches geschrieben hat, schildert in aller Ausführlichkeit und mit großer Detailkenntnis, worauf zu achten ist, zeigt Widersprüchlichkeiten auf, übernimmt für die Leser*innen Abwägungen und spricht letztendlich pragmatische Empfehlungen aus. Unabhängig von den Anforderungen, die die jeweilige Auftraggeber*in definiert, erscheint Posselt eine Vorgehensweise gemäß PDF/UA am sinnvollsten, denn „aus Prozesssicht [ist] die WCAG für normale Anwender*innen (…) schwerer anwend- um umsetzbar“. Und so ist seine Schlussfolgerung: „PDF/UA gewährt, unabhängig von der Beschaffenheit des Inhalts, den bestmöglichen Zugriff auf diesen.“
Der Abschnitt „Grundlegende Anforderungen an barrierefreie Dokumente und deren Inhalt im Detail“ ist auch noch Bestandteil des Theorie-Teils. Er enthält unabhängig von einer bestimmten Software die Informationen, die für barrierefreie PDF zu beachten sind. Da wird auf Semantik und Inhalt (und nur kurz auf „einfache Sprache“ – zu Recht, denn das ist ein ganz eigener Aspekt innerhalb der Thematik „Barrierefreiheit“) eingegangen, und wie gewohnt sehr detailliert. Auch der Umgang mit beispielsweise Tabellen, Infografiken, Audio- oder Video-Inhalten wird erklärt. Meiner Meinung nach hätte dieser Abschnitt es verdient gehabt, ein eigener „Teil“ im Buch zu werden. Und als praktischer Nebeneffekt wäre der Theorie-Teil kürzer geworden. 🙂
Danach wird es ganz praktisch: Teil B enthält ganz genaue Anleitungen, wie man mit InDesign, aber auch Word, PowerPoint, Excel und den entsprechenden Programmen Writer, Calc und Impress arbeiten muss. Ich habe hier darauf verzichtet, die Kapitel zu den Office-Programmen durchzulesen, sondern habe mich auf die über 100 Seiten zu InDesign konzentriert. Posselt deckt hier eine immens breite Palette ab, indem er Hinweise für die Programmversionen CS5.5 (das war 2011!) bis CC 2018 gibt – was andererseits aber auch daran liegt, dass Adobe seitdem die Funktionalität bezüglich der Ausgabe von PDF/UA nicht viel verbessert hat. Noch immer gilt:
Die Ausgabe von PDF/UA, dem Datenstandard für barrierefreie Dokumente, wird von InDesign nicht nativ unterstützt.
Zwar kann man einiges sehr viel in InDesign erledigen, letztendlich muss man für wirklich zufrieden stellende Ergebnisse andere Software hinzuziehen. Posselt empfiehlt hier zur Unterstützung MadeToTag und nennt auch andere Produkte, die aber immer nur Teilaufgaben übernehmen können.
Wie auch in den vorigen Abschnitten wird die Vorgehensweise Schritt für Schritt und sehr detailliert beschrieben. Unterstützt wird das durch eine Vielzahl an Videos und (InDesign-) Dateien (beispielsweise eine sehr hilfreiche InDesign-Bibliothek mit Tag-Marken oder eine joboptions-Datei), die nicht nur den Leser*innen des Buches, sondern allen (Link) kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Viele Screenshots und farbige Hervorhebungen im Text erleichtern das Lernen und Verstehen. An zahlreichen Stellen wird per Link zu weiterführenden Informationen im Web verwiesen. Dazu allerdings ein kleiner Kritikpunkt: Auch wenn die Links über den Service bit.ly abgekürzt wurden, sind sie doch weiterhin kryptisch und nicht leicht abzutippen: Eine eigene Link-Logik wie ein durchnummeriertes http://bit.ly/PDFBuch-1234 statt bit.ly/2FpH1JQ wäre sinnvoller.
Eine schöne Idee ist auch das Testdokument, das den Leser*innen zur Verfügung gestellt wird und absichtlich eine Reihe typischer Fehler und Probleme enthält. Denn „das Üben an Daten [ist] weitaus besser geeignet (…), um das neue Wissen zu erlernen und zu verfestigen“.
Natürlich müssen die erstellten PDF-Dateien auch geprüft werden, inwieweit sie die vorher definierten Anforderungen erfüllen. Auch hierzu enthält das Buch ein eigenes Kapitel, das zuallererst das Vier-Augen-Prinzip empfiehlt: Denn als Ersteller*in der Dateien ist man nicht unbedingt der/die beste Kandidat*in für eine Überprüfung. Diese sollte zweifach erfolgen: Einmal „maschinell“ oder „automatisch“ mithilfe von Software, und einmal manuell. Für beides nennt das Buch eine Reihe von Hilfsmitteln wie pdfaPilot für die automatische oder das „Matterhorn-Protokoll“ für die manuelle Prüfung.
Und wenn Fehler korrigiert werden müssen? Hier sollte man zuallererst versuchen, in den Programmen, mit denen die PDF-Dateien erstellt wurden, zu arbeiten. Ist das nicht nötig, hilft das letzte Kapitel mit ausführlichen Hinweisen zur „Nachbearbeitung von ausgegebenen PDF-Dateien“. Wie gewohnt mit Software-Empfehlungen und ausführlichen Schritt-für-Schritt-Anleitungen.
Fazit
Klaas Posselt und sein Co-Autor Dirk Frölich (für den Office-Teil) haben ein sehr hilfreiches Buch geschrieben, das die Leser*innen befähigt, die komplexe Materie rund um die Erstellung von PDF-Dateien zu verstehen und selber mit InDesign oder Office-Software (und kleinen Helferlein) Dokumente zu erstellen, die den jeweiligen Anforderungen entsprechen. Dabei berücksichtigen sie auch, dass Theorie und Praxis gerade bei Barrierefreiheit zwei paar Schuh sind und es fast immer unmöglich ist, wirklich 100% Barrierefreiheit zu erreichen. Die Autoren haben dazu richtigerweise einen sehr pragmatischen Ansatz gewählt, denn:
Lieber zehn PDFs gut barrierefrei als nur eines perfekt.
Eine absolute Kaufempfehlung. Ein Muss für alle Designer*innen, die für Behörden und öffentliche Einrichtungen wie Museen, Hochschulen etc. arbeiten. So umfangreiche Ergänzungen zum Download wie Beispieldateien, ausführlichere Kapitel (doch, doch, der Theorieteil hätte noch länger ausfallen können), Referenz- und Einstellungsdateien, Skripte und vieles mehr habe ich in diesem Umfang noch nie bei einem Buch gefunden.
Abschließend möchte ich dann noch ein „Feature Request“ an Adobe formulieren, nämlich die Funktionalität von MadeToTag in InDesign zu integrieren (ohne natürlich der Firma hinter MadeToTag wirtschaftlich zu schaden), um so dem Anspruch, die beste Publishing-Software zu sein, weiter gerecht zu werden.
Klaas Posselt / Dirk Frölich
Barrierefreie PDF-Dokumente erstellen
d.punkt Verlag
ISBN 978-3-86490-487-5
Buch: 46,90 € | E-Book 37,99 €
Link zur Verlags-Website
* Klaas Posselt, der den ersten Teil des Buches verfasst hat, hat Recht, wenn er den Begriff „zugänglich“ anstelle von „barrierefrei“ (oder -arm) passender findet. Da „barrierefrei“ sich aber weitestgehend im deutschen Sprachgebrauch durchgesetzt hat, wird es im Buch auch benutzt.
Anmerkung: Ich kenne Klaas Posselt privat. Das Buch erhielt ich für diese Rezension kostenlos zur Verfügung gestellt.